Unvergessliche Spiele


Wie das legendäre Team des VfR Jettingen vor 50 Jahren drei Mal aufstieg

1967 war der VfR Jettingen in die B-Klasse abgerutscht. Doch dann gelang einer legendären Mannschaft um einen legendären Trainer etwas bis dahin Einmaliges.

Vor 50 Jahren vollendete sich die Erfolgsgeschichte einer Fußballmannschaft, die heute zu Recht als legendär eingestuft wird. Denn keiner hatte auch nur einen Blumenkübel auf den VfR Jettingen gesetzt, als er 1967 in der damaligen B-Klasse abgetaucht war. Drei Spielzeiten später wurde das Unvorhersehbare Wirklichkeit: Über die A-Klasse und die Bezirksliga stieg das Team in die Landesliga Süd auf, die damals die zweithöchste Spielklasse in Bayern darstellte. Nie zuvor war eine Mannschaft aus dem Landkreis Günzburg so hoch gestiegen. Erheblich zur Legendenbildung rund um den Dreimal-in-Folge-Aufsteiger beigetragen hat neben den erwartbaren Geschichten über Väter und Vollender des Erfolgs der ganz und gar merkwürdige Umstand, dass die Frage nach dem exakten Datum des Aufstiegs drei Antwortmöglichkeiten bietet.

Im Rückspiegel betrachtet, wurde der 31. Mai 1970 zum Glückstag der jungen Wilden. Um den taktisch gewieften Trainer Wilfried Stichter und den enorm spielstarken Leitwolf Gerhard Liegel scharten sich ja bis zu neun Jungspunde mit 20, 22 Jahren, die den Ehrgeiz und den Esprit der Jugend auf den Platz trugen. Lampenfieber kannten diese Kicker nicht, als sie zu ihrem vorletzten Auftritt in dieser Runde bei Tabellenführer NCR Augsburg antraten, der die 13er-Spielgruppe phasenweise dominiert hatte. Am Ende hatte Jettingen nach Treffern von Ambros Wagner und Paul Binder 2: 1 gewonnen und kletterte zum ersten Mal in dieser Saison auf den Platz an der Sonne. Dass dieser Erfolg bereits den Titelgewinn bedeutete, wusste aber noch niemand. Der Jubel fiel entsprechend verhalten aus und das blieb auch so, nachdem die Jettinger in ihrem abschließenden Saisonspiel den SC Ichenhausen 3: 2 geschlagen hatten. Selbst an diesem 7. Juni 1970 (einen Tag zuvor hatte der SCI sein 50-jähriges Vereinsbestehen mit einem Freundschaftsspiel gegen den TSV 1860 München gefeiert) war noch nicht klar, dass es tatsächlich reichen würde. Alfred Seitz, als linker Außenläufer gleichermaßen nach vorne wie nach hinten orientiert, erinnert sich mit einem Schmunzeln an damals alltägliche Gegebenheiten: „Wir konnten uns gar nicht so richtig freuen, weil wir wussten, dass NCR noch zweimal spielen wird. Hätten die Augsburger zweimal gewonnen, wären sie vor uns gewesen.“ Genau das hätte der Papierform entsprechend auch passieren müssen, doch in seinem Saisonfinale am 21. Juni patzte der Aufstiegsfavorit – und jetzt, endlich, war Jettingen Bezirksliga-Meister.

Meister der Bezirksliga Schwaben Nord 1969/70 wurde die Mannschaft des VfR Jettingen. Das Bild ist der 1983 erschienenen Chronik „60 Jahre VfR Jettingen“ entnommen.

Offiziell gefeiert wurde der sportliche Erfolg mit einer politischen Fußnote auf gesellschaftlicher Bühne. Die zum 1. Januar 1970 installierte Marktgemeinde Jettingen-Scheppach benötigte bei vielen Zeitgenossen noch etwas Werbematerial und der im Mai gewählte Bürgermeister Theodor Knappich hatte die blitzgescheite Idee, die Fußball-Helden nach einem Empfang im Jettinger Rathaus mit Pferdekutschen nach Scheppach zu bringen und sie beim dort stattfindenden Bezirksmusikfest zu präsentieren. Der Tag wurde zum Steilpass für das gerade entstehende Bindungsgefühl.

Vereinsintern kamen Fragen nach Motivation oder Teamgeist erst gar nicht auf. Das lag am Zeitgeist und, darauf legt Seitz in der Rückschau Wert, an der besonderen Zusammensetzung dieser Jettinger Mannschaft. „Für uns alle hatte der Fußball erste Priorität“, betont der frühere VfR-Kicker. Auch das Ziel, immer gewinnen zu wollen, kam nach seinen Erinnerungen von innen und vor allem von den vielen jungen Spielern. Doch ohne Routine ging auch damals nichts im Fußball. Die passenden Schlüssel zum Erfolg steuerten laut Seitz die beiden Sportkameraden Stichter als Steuermann von außen und Liegel als Leitwolf auf dem Platz bei.

Stichter übernahm das Gros des späteren Landesliga-Aufsteigers bereits als Jugendtrainer in Jettingen. Zum Glücksfall wurde er vor allem durch seine Eigenart, Techniken des „großen“ Fußballs ins Amateurlager zu übersetzen. So wurde er über den VfR Jettingen hinaus zu einem Wegbereiter des modernen Fußballs in der Region. Seitz erinnert sich mit einem Grinsen, wie arg sich Neuzugänge plagen mussten, um das in Jettingen längst eingeführte Zwei-Kontakt-Spiel zu verinnerlichen. „Da hieß es Ball annehmen – Ball spielen, so schnell wie möglich. Das war schon was für damalige Zeiten.“ Auch Übungen mit dem Medizinball hätten zu den Trainingsmethoden des 1937 geborenen Stichter und vor fast genau einem Jahr gestorbenen Stichter gehört, fügt Seitz hinzu. Woher Stichter sein Fachwissen unter anderem hatte, vermag sich Günther Brenner gut zu memorieren. Der damalige Schriftführer des SV Scheppach und spätere Vorsitzende des VfR Jettingen verfolgte damals als Fan die Spiele des VfR-Teams. Aus seiner Sicht war Stichter „ein Mann mit Weitblick“. Wann immer es ging, habe er in München die Trainingseinheiten des FC Bayern und des TSV 1860 beobachtet. Lachend erzählt Brenner folgende Anekdote: „Da hat er zum Beispiel gesehen, dass die mit Deuserbändern arbeiten. Das wollte er auch in Jettingen umsetzen. Aber sein Antrag auf 25 Bänder wurde von der Vereinsführung abgelehnt.“ Mit anderen Ideen setzte sich der Coach leichter durch. Laut Brenner hat Stichter „die Bandenwerbung angeleiert oder ein Stadionheft“. Stichter kam damals bei der Landesliga-Spielgruppentagung im Haus des Sports in München auch der Blitzgedanke, Heimspiele an Samstagen auszutragen. Das bescherte den Jettingern heute unvorstellbare Zuschauerzahlen, denn plötzlich konnten auch Fußballer anderer Amateurvereine vor Ort dabei sein, wenn das Aushängeschild des Landkreises spielte. „Die standen teilweise in Dreierreihen am Platz“, erinnert sich Seitz und der in Sachen Statistik immer bestens präparierte Brenner weiß: „In der Landesliga-Saison waren das insgesamt 10 450 Zuschauer bei 17 Heimspielen.“

Als zweite Säule steuerte Stichter bereits während des Zwischenspiels in der A-Klasse den ehemaligen Studenten-Nationalspieler Liegel bei. Das Jettinger Eigengewächs kannte der Trainer privat und so musste er den großartigen Fußballer nicht lange bitten, als Führungsfigur zum Heimatverein zurückzukehren. Die Erinnerung an das Kennenlernen in der Kabine entlockt Seitz heute noch ein Schmunzeln. „Wir hatten da eine große Portion Ehrfurcht, weil uns etwas ganz Besonderes vorgestellt hatten. Und dann kam Liegel mit einem ganz normalen Plastiksäckchen unter dem Arm zum Training – während wir mit Föhn und Rollbürste an der Steckdosenleiste standen.“ Starallüren also plagten den Mann nicht und sobald es zur Sache ging, sei der bereits 1999 verstorbene Liegel allen Vorschusslorbeeren mehr als gerecht geworden, berichtet Seitz.

Ein bisschen schade findet Seitz, dass sich die Aufstiegshelden von damals nicht regelmäßig treffen. „Es hat keiner so richtig in die Hand genommen, so etwas zu organisieren. Da wir ja leider schon Todesfälle hatten, trifft man sich meistens nur in Trauer“, sagt er. Aus gegebenem Anlass soll es aber noch in diesem Jahr eine große Zusammenkunft geben, verrät Brenner. Einzelheiten mag er nicht verraten, aber es werden alle Spieler der damaligen Mannschaft eingeladen und es wird auch jeder ein Erinnerungsgeschenk erhalten.

In älteren Unterlagen, wie dem Heftchen zum 60-jährigen Bestehen des Vereins, haben Günther Brenner und Alfred Seitz viele Hintergründe zum Landesliga-Aufstieg des VfR Jettingen 1970 gefunden.